Der Anschlag auf die Weihnachtspute
Truthahn und Weihnachten, das gehörte in meiner Schwiegerfamilie untrennbar zusammen. Jedes Jahr wurde beim ortsansässigen Bauern eine riesige Pute bestellt, die für drei Tage reichte. Pute musste sein. Alle Jahre wieder. Und groß genug, dass man das Festessen täglich neu begehen konnte. Später, als wir Kinder hatten, wurde das Weihnachtsessen neu verhandelt. Am Heiligabend gab es Nudeln mit Tomatensoße. Am ersten Feiertag waren wir bereit aufwendiger zu kochen. Dann kam die Pute auf den Tisch. So hatten wir es auch in diesem Jahr geplant. Das Kalenderblatt zeigt den 24. Dezember.
Wir waren mit Freunden zum Weihnachtsgottesdienst verabredet. Doch vorher war noch viel zu erledigen. Ich nahm das Gäste-Steppbett aus der Truhe und stellte fest, es roch muffig. Das durfte nicht sein! Keinem Schwiegervater der Welt konnte man das antun. Gestresst verschwand ich im Keller und stopfte kurzentschlossen Kopfkissen samt Decke in die Waschmaschine, in der Hoffnung bis zum Abend weihnachtlichen Wohlgeruch ins Federbett zu bringen. Gerät an und Start, die Maschine trat ihren Dienst an.
Unterdessen kam mein Mann mit den Kindern vom Bauernhof. Im Schlepptau ein Prachtexemplar von Pute, dass sich vor der Schwiegerfamilie sehen lassen konnte. Die Kinder brachten die Nudeln aus dem Hofladen in die Küche und mein Mann den toten Vogel in den Keller. Die ToDo Liste war noch lang. Am Weihnachtsbaum fehlte die Beleuchtung, dem Kostüm fürs Krippenspiel ein Hut, die CD mit Festmusik war verschwunden, in der Küche blubberte die Tomatensoße, das Telefon klingelte und die Zeit rannte davon. Ebenso mein Mann, der sich für eine kurze Joggingrunde verabschiedete. Der Familiengottesdienst nahte, die Kinder sollten sich umziehen. Mein Mann wurde mit Blick auf die Uhr immer ungeduldiger erwartet und da fiel mir ein: „Ach, die Wäsche!“
Ich eilte in den Keller, bog in die Waschküche und blieb entsetzt stehen. Warum in aller Welt hatte ich die Waschmaschine gestartet? Sie hatte ihren weihnachtlichen Einsatz gründlich missverstanden. Ihr Auftrag lautete Feinwaschprogramm 60 Grad. Stattdessen beging sie einen hinterhältigen Anschlag. Mit einem gewaltigen Sprung nach vorn hatte sie sich vom Podest gestürzt, direkt auf unseren Weihnachtsbraten. Das arme Federvieh hatte keine Chance zu entkommen. Unter der Waschmaschine begraben, lag die Pute in einer zertrümmerten Wäschewanne. Eine wilde Duftmischung hing im Raum. Pulver, Pods und Perlen, alles was in die Waschtrommel gehörte, schäumte auf dem Kellerboden. Dazwischen Klammern, Wäschenetze und Dosierhilfen.
Noch starr vor Schreck hörte ich es an der Haustür klingeln. Wir wurden zum Krippenspiel abgeholt. Schnell schickte ich die Kinder mit zur Kirche. Unterdessen war auch mein Mann wieder aufgetaucht. Verschwitzt vom Joggen verschwand er im Keller statt unter die Dusche. Heldenhaft wuchtete er das wichtigste aller Haushaltsgeräte an seinen angestammten Ort zurück und rettete die Weihnachtpute. Sie hatte den Aufprall der Waschmaschine besser als erwartet überstanden. Unter dem Bullauge eingeklemmt, trug sie nur geringfügige Blessuren davon. Als sie anderntags, gewaschen, gesalzen und gespickt im Backofen brutzelte, konnte man den erlittenen Anschlag nur noch erahnen. Geschmeckt hat sie frischer denn je! Pute gut, alles (wieder) gut.
Julia Ruß
Ausbildungskurs Ehrenamtliche Klinikseelsorge 2023