Blaues Stündle
„Blaues Stündle!“ ruft meine Mutter durch das Haus. Wir Kinder kommen aus unseren Zimmern ins Esszimmer gerannt. Die Kerzen auf dem Adventskranz brennen und erhellen den Raum. Auf dem Tisch steht der Punsch bereit, die Plätzchen und Lebkuchen ebenso. Wir setzen uns und fallen über die Leckereien her. Draußen ist es dunkel und kalt. Das Feuer im Kaminofen knistert. Drinnen ist es gemütlich und warm. Jeder von uns genießt diesen Moment, das Innehalten zur blauen Stunde, das Zusammensein.
Ich kam gerade aus dem Lernen für eine Prüfung in der Schule und bin sehr dankbar, mir so eine kurze Pause gönnen zu können. Es wird ein Pausenknopf gedrückt und das Denken, die Nervosität, die Unruhe im meinen Kopf kommen zur Ruhe. Ich kann mich stärken durch die Leckereien, durch die Zeit mit der Familie. Ich nehme neu wahr, was auf mich wartet, wo ich mich gerade befinde. In der vorweihnachtlichen Zeit, zwischen all dem, was zu erledigen ist, hilft mir das Blaue Stündle, mich zu vergewissern, dass bald Weihnachten ist.
Auch heute noch, viele Jahre später, ist die Tradition des Blauen Stündles Teil meiner Adventszeit und auch darüber hinaus. Sie hilft mir, so wie sie mir damals geholfen hat. Ich komme zur Ruhe und zum Innehalten.
Ein Blaues Stündle kann auch am Arbeitsplatz eine Möglichkeit sein: Bewusst den Pausenknopf drücken, um einen Schritt aus der Schnelligkeit, dem Terminchaos herauszutreten. Sich zurücklehnen, für einen Moment den Blick aus dem Fenster schweifen lassen, etwas trinken und essen. Innehalten. Und mit neuer Kraft wieder zurückkommen.
Johannes Steinlein
Vikar der evang.-luth. Kirchengemeinde Herzogenaurach
Seelsorge-Ausbildungsphase an der Uniklinik/Chirurgie